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Wer ist wer? Wie kann man die beiden Junggeier voneinander unterscheiden?
Beide sind absolut eindeutig nur an den Ringen und den gebleichten Federn zu erkennen. Diese sind aber über die Kamera meist nur schwer zu sehen. Folgende Merkmale sind mit etwas Übung aber ganz gut zu unterscheiden: Bavaria ist die größere, mit dem höheren Anteil an weißlicher Gefiederfärbung im Hinterkopf und Nacken. Vom Verhalten her erwies sich Bavaria auch als dominanter gegenüber Wally.
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Gibt es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bartgeiern?
Im Gegensatz zu vielen anderen Greifvogelarten ist der Größenunterschied zwischen Weibchen und Männchen nur minimal. Weibchen sind tendenziell etwas größer und schwerer, dies ist aber auf der individuellen Ebene nicht mit bloßem Auge zu erkennen. Das Aussehen ist ansonsten gleich. Das Geschlecht kann leicht mit einer genetischen Untersuchung festgestellt werden.
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Wieso wurden zwei Weibchen ausgesetzt?
Die äußerlich nicht erkennbaren Geschlechter der beiden Vögel werden erst kurz vor der Auswilderung durch eine genetische Untersuchung per Blutentnahme ermittelt. Prinzipiell geht es auch nicht darum, ein Pärchen freizulassen. Bartgeier sind erst mit rund 6 Jahren geschlechtsreif, zu einem Fortpflanzungserfolg kommt es im Schnitt erst mit 8 bis 9 Jahren. Zudem sind Bartgeier sehr wählerisch was die Partnerwahl betrifft, dies ließe sich kaum „erzwingen“.
Wichtig für das Projekt ist es, möglichst viele junge Bartgeier auszuwildern, die möglicherweise eine starke Bindung zu ihrem neuen Zuhause aufbauen (siehe Philopatrie, Punkt 10).
Entscheidender ist die Auswahl von geeigneten genetischen Linien, um die Variabilität einer möglichen Ansiedelung im Projektgebiet zu beeinflussen.
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In freier Natur überlebt immer nur ein Junges. Warum werden im Wiederansiedlungsprojekt immer 2-3 Jungvögel zusammen ausgesetzt?
Die äußerst bewährte, sogenannte „modifizierte Hacking Methode“, nach der das Protokoll der Wiederansiedlungen seit Jahrzehnten verfährt, schreibt vor, dass immer mindestens zwei Jungvögel zusammen ausgesetzt werden müssen. Dies fungiert als Sozialfunktion und soll die plötzliche Trennung von den Eltern abpuffern.
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Kann es bei den aufkommenden Konflikten zwischen den jungen Bartgeiern für einen unterlegenen Jungvogel gefährlich werden?
Durch die optimale Nahrungsversorgung und das (beinahe) gleiche Alter und den dadurch ähnlichen Entwicklungszustand sind die schwerwiegendsten Konkurrenzfaktoren minimiert. Trotzdem bildet sich meist ein Dominanzverhalten aus, Konflikte werden ausgetragen und sie versuchen oftmals, den anderen Jungvogel zu verdrängen. In der Regel passiert dabei aber nichts Schlimmeres, die Nische ist groß genug, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen und es gibt reichlich Futter für alle.
Durch die ständige Beobachtung hätte man zudem die Möglichkeit einzugreifen. Dies kommt aber nur äußerst selten vor.
Die Erfahrung zeigt: Die Entwicklung von nach dieser Methode ausgesetzten Jungvögeln nimmt später einen völlig normalen Verlauf.
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Was ist sonst noch typisch für die `Hacking´ Methode?
Ausgesetzt werden die aus Gehegehaltung stammenden und noch nicht ganz flüggen Jungvögel im Alter von ca. 90 Tagen in eine gut geschützte Felsnische an sorgfältig ausgewählten Orten in den Alpen. Insgesamt wird der Prozess des natürlichen Ausfliegens imitiert und das mit großem Erfolg. Die Hauptfunktionen der Eltern (Schutz, Nahrung) übernimmt dabei der Mensch, jedoch ohne direkten Kontakt. Die Jungvögel werden dabei rund um die Uhr bewacht und je nach Bedarf meist alle 2-3 Tage gefüttert.
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Womit werden die Jungvögel gefüttert?
Hauptsächlich Knochenstücke und Läufe von Schalenwildarten: Reh, Gams, Rothirsch. Es sollte mindestens 20 % Fleischanteil enthalten sein, da die Jungvögel reine Knochennahrung noch nicht so gut verdauen können und auf den Wassergehalt im Fleisch angewiesen sind. Wir haben Kooperationen mit Jägern der BaySF und des Nationalparks abgeschlossen. Diese sammeln für uns Teile, die sie ansonsten nur entsorgen würden.
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Wann ist mit dem ersten Ausflug der Jungvögel zu rechnen?
Im Alter von 110 bis 120 Tagen wagen die jungen Bartgeier in der Regel ihren ersten Flug.
Dieser Zeitpunkt lsst sich ganz gut einschätzen, denn wie beim natürlichen Vorgang bleiben die flüggen Jungvögel nach dem Ausfliegen meist erst einmal in Horstnähe. Es entsteht eine Bindung an die Horstumgebung und dabei kommt es häufig auch zur sog. Philopatrie.
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Was bedeutet Philopatrie und welche Auswirkungen hat dieser Effekt auf das Wiederansiedlungsprojekt?
Philopatrie bedeutet wörtlich übersetzt „Heimatliebe“. Hier im übertragenen Sinn meint man damit die Rückkehr an den Geburtsort bzw. in unserem Fall an den eingeprägten Auswilderungsort. In der Nestlings- und Ausflugszeit ist die Lernfähigkeit am höchsten. Daher bilden die Jungvögel eine Bindung an den Auswilderungsort, die auch nach den Wanderjahren noch anhält.
Nach mehreren Jahren Wanderschaft entstehen möglicherweise Ansammlungen von zurückgekehrten Bartgeiern im Umfeld des Auswilderungsplatzes. Im Idealfall gehen einige der Rückkehrer dann eine Paarbindung ein.
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Wie viele Bartgeier werden in Berchtesgaden ausgewildert?
Aufgrund der langen Zeit, die es braucht, bis Bartgeier erfolgreich Nachwuchs hervorbringen, macht ein Wiederansiedlungsprojekt nur langfristig Sinn. Geplant ist eine Projektlaufzeit von 10 Jahren, in der pro Jahr etwa 2-3 Jungvögel ausgewildert werden.
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Wie kommen die Jungvögel nach der Auswilderung zurecht, da sie ja keine Unterstützung durch ihre Eltern mehr erfahren?
Es ist wirklich erstaunlich, wie gut sich die jungen Bartgeier alleine auf Grund ihrer angeborenen Verhaltensweisen und ihrer großartigen Anpassungsfähigkeit zurechtfinden an den ihnen vorher total unbekannten Orten zurechtfinden.
Sie üben das Fressen von größeren Knochenstücken, trainieren die Flugmuskulatur und werden mit der Zeit zu gewandten und geschickten Fliegern. Sogar die Technik des Knochenzerkleinerns durch Fallenlassen aus großer Höhe auf geeignete felsige Oberflächen („Knochenschmieden“) ist in groben Zügen angeboren. Freilich muss es erst langwierig trainiert und perfektioniert werden.